Verbrechern drohte im Zollikerberg der Galgen

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17. Oktober 2022 – Vor vielen hundert Jahren wurde im Zollikerberg über Leben und Tod entschieden. Nach der Verhandlung wurden Schuldiggesprochene im Wald gehenkt. An die Hinrichtungsstätte erinnert heute noch der «Galgenbüelweg» auf dem Höhenzug oberhalb der Rüterwies.

Wegschild Galgenbüel
Nachts am Galgenbüelweg (Foto: Thomas Entzeroth)

Im deutschen Sprachraum tragen Hunderte von Plätzen Bezeichnungen wie «Galgenhalde», «Galgenberg» oder «Galgenhügel». Um verstehen zu können, was es mit dem Zolliker «Galgenbüel» auf sich hat, muss man zuerst der Geschichte der Strasse «In der Deisten» nachgehen, die rund 700 Meter vom Galgenbüel entfernt nördlich der Binzstrasse liegt.

Die Herkunft des Namens «Deisten» dürfte auf das Frühmittelalter zurückgehen. «Deisten» leitet sich vom Wort «Dingstatt» ab, das wiederum vom alten Wort «Thing» abstammt, einer germanischen Bezeichnung für eine Stätte, an der Recht gesprochen wurde. Im Norden hat sich der Begriff bis in die Gegenwart erhalten: Das isländische Parlament heisst heute noch «Althing», das dänische «Folketing» und das norwegische «Storting». Vielleicht kennen auch ein paar Leserinnen oder Leser das Gedicht «Orgetorix» von Alfred Hofmann, in dem aus der Zeit der Helvetier berichtet wird: «Und wiederum standen die Mannen im Ring, berufen zu halten ein Blutgeding, ein Ding auf Leben und Sterben.»

Die sprachliche Verbindung von Ding und Sache leitet sich von der am Thing behandelten «Rechtssache» ab. Im deutschen Wortschatz hat sich der Begriff erhalten in Wörtern wie dingfest, sich verdingen, sich ausbedingen, Bedingung oder unabdingbar.

Die Zolliker Dingstatt war also im 7. und frühen 8. Jahrhundert zu alemannischer Zeit und später für die Reichsvogtei Zürich ein Hochgericht, an dem sich die freien Männer von Collinchovin (Zollikon) und Truhtilhusa (Trichtenhausen) versammelten, um Recht zu sprechen. Das altgermanische Thing dauerte nach einigen Quellen ursprünglich drei Tage.

Reden mit «freier Zunge»

Tacitus beschreibt um 100 n.Chr. den Ablauf eines Things. Demnach wurden am ersten Tag der Zusammenkunft «unter starkem Alkoholkonsum» wichtige politische und militärische Dinge besprochen, Beschlüsse wurden hingegen erst am nächsten Tag gefasst. Dieses Vorgehen hatte Tacitus zufolge den Vorteil, dass am ersten Tag die Teilnehmer leichter mit «freier Zunge» redeten, nachher aber wieder nüchtern waren. Ob das in unserer Gegend auch so der Brauch war, ist leider nicht überliefert… Auch schriftliche Urkunden wie Gerichtsurteile im Zusammenhang mit dem Zolliker Galgen gibt es nicht; den einzigen Hinweis gibt der Flurname «Galgenbüel». Nachgewiesen ist dieser im Zollikerberg seit 1322, wo in einer Urkunde von Land zuo dem Galgen die Rede ist.

Meist wurde das Urteil gleich nach der Urteilsverkündung vollzogen. Das auf der Karte eingezeichnete «A.Gräb» für alemannische oder alte Gräber entspringt eher der Fantasie des Zeichners als den Tatsachen. Ein alemannisches Gräberfeld wurde 1962 zwar gefunden, aber es lag in der Unterhueb, weit vom Galgen entfernt. Auch die menschlichen Gebeine, die Albert Heer 1925 in «Unser Zollikon» erwähnt und die auf der Suche nach Wasser «vor Jahren» auf dem Galgenbüel gefunden worden seien, sind nirgends dokumentiert.

Karte Zollikerberg  um 1850
Der Zollikerberg um 1850: Die Strasse führte vom Sonnengarten am Galgenbüel vorbei

Abschreckende Wirkung

Wo der Galgen genau gestanden hat, ist unklar. Folgt man den Angaben auf Karten, stand er auf der damals noch unbewaldeten Hügelkrete nördlich der Spitzhütte. Die Strasse zur Forch führte damals über den Sonnengarten und die heutige Firststrasse nach Waltikon. Der weitherum sichtbare Galgen oberhalb der vielbegangenen Strasse sollte den Reisenden zur Abschreckung dienen und sie von Missetaten abhalten.

Ungefährer Standort des Galgens im heutigen Wald
Ungefähr hier könnte der Galgen gestanden haben (Foto: Adrian Michael)

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