«Die Alten sollen sich selber helfen»

0 KOMMENTARE

21. Januar 2023 – Fast 100 Besucherinnen und Besucher versammelten sich am letzten Donnerstag im Café am Puls. Barbara Lukesch interviewte den Zolliker Philosophen, Publizisten und Vortragsredner Ludwig Hasler. Es wurde ein tiefgründiger Anlass, der zu denken gab.

«Ich hätte nie gedacht, dass ich mit 79 noch so umtriebig wäre, es geniert mich fast», sagte Ludwig Hasler im «Talk am Puls». Das «dritte Alter», die zehn Jahre zwischen 70 und 80, seien ein Geschenk: «Wir müssen nichts mehr, wir können alles selber bestimmen, der Tag gehört uns, das Leben ist im Trockenen, viele von uns haben keine grösseren Existenzängste, das ist eine unglaublich feudale Situation.»

Und dennoch sei sein Buch «Für ein Alter, das noch was vorhat», zum Bestseller geworden, wandte Barbara Lukesch ein. Offenbar gebe es viele Menschen, die kein Rezept für diesen Lebensabschnitt hätten und nach Orientierung suchten.

«Zum Vertrotteln muss man alt werden»

Hasler, als Vortragsredner und Philosoph kein Freund kurzer Antworten, holte aus: Das Schlimmste sei, wenn man sich im Alter nur noch mit sich selber beschäftige, «dann schrumpft und serbelt man». Man müsse sich für etwas interessieren, was im besten Fall bedeutender sei «als das winzige Ich». Es sei sinnlos, «fortzufahren mit dem, was man bisher schon nicht tun wollte». Vielmehr müsse man sich eingestehen, «dass das Begehren nach Macht, Geld und Sex irgendwann stillsteht». Viele Alte hätten die Tendenz, denselben Dingen hinterherzurennen wie mit 45 – «viele lehnen es schlichtweg ab, alt zu werden; sie bleiben gefrässig in jeder Hinsicht: Konsum, Reisen, Unterhaltung». Es fühle sich viel besser an, im Alter eine befriedigende Aufgabe zu haben und an der Zukunft mitzuwirken, auch wenn es nicht mehr die eigene sei. «Verblöden kann man schon mit 30, zum Vertrotteln muss man alt werden», rundete Hasler seinen Exkurs mit Vehemenz ab. Das zu verhindern, nehme einem niemand ab: «Die Alten müssen sich selber helfen.»

Ungebrochene Auftrittslust

Er halte bis zu 80 Vorträge pro Jahr und mache keine Anstalten, kürzer zu treten, piekste ihn Barbara Lukesch. Wann er denn gespürt habe, dass ihn das Alter einhole?

«Mit 58», sagte er, «als ich bei einer Bergwanderung erstmals überholt wurde, und zwar ganz locker von einer jüngeren Person – das darf doch nicht wahr sein, sagte ich mir.» Es gebe bei fast allen Menschen im fortgeschrittenen Alter diese Kluft zwischen der Innen- und Aussensicht. «Wie bösartig sind denn die heutigen Fotografen?», frage er sich manchmal, wenn er ein Bild von sich in einer Zeitung sehe. Er fühle sich innerlich viel jünger und rede lieber von den Vorteilen des Alters, in dem er eine andere Denkart entwickelt habe und bei öffentlichen Auftritten mit Schonung rechnen dürfe.

«Gibt es dafür ein konkretes Beispiel?», intervenierte Barbara Lukesch.

Er habe beispielsweise keine Mühe, bei einem Kongress vor versammelten Autoimporteuren über den «Irrsinn und die ökologische Unlogik» in der heutigen Welt zu lästern: «Es gibt immer mehr Stau, die Strassen sind verstopft, und was machen wir? Wir bauen immer grössere Autos. Ich sage den Leuten schonungslos, wohin dieser Wahnsinn führen wird. Von einem 35-Jährigen würden sie sich das nicht gefallen lassen. Mir attestieren sie eine gewisse Schandmaul-Kompetenz.»

Philosophischer Ausklang

Je länger das Gespräch dauerte, desto philosophischer wurde es. Wer die «ZollikerNews» liest, weiss, dass Ludwig Hasler nach einem Glas Whisky, seinem täglichen Schlummertrunk, ein Ritual praktiziert, das er seine «geistige Einquartierung» nennt. Er vergegenwärtige sich mit einem Blick zum Himmel, welch kleiner Winzling er auf Erden sei, denke über die Entstehung des Universums nach und welchen Platz er darin einnehme: «Ich bestehe zu 90 Prozent aus Wasserstoff, einem Material, das aus dem Glutofen der frühen Sternenproduktion stammt und elfeinhalb Milliarden Jahre alt ist. Ich bin Sternenstaub, sterbe eines Tages, aber nicht wirklich, denn der Staub bleibt erhalten – gemessen am Alter des Universums bin ich völlig unbedeutend, aber ich gehöre dazu.» (rs)

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht