Die «Heldin» wirft die Rolex aus dem Fenster

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7. März 2025 – Der Film «Heldin» thematisiert den Pflegenotstand in den Spitälern und versucht, ein breites Publikum für einen anspruchsvollen Beruf zu sensibilisieren. Pflegende des Spitals Zollikerberg beurteilen für die «ZollikerNews», ob dies gelungen ist.

Gruppenbild mit «Heldin» – (Fotos: ZN)
Gruppenbild mit «Heldin» – (Fotos: ZN)

VON BARBARA LUKESCH

Wir gehen mit acht Pflegefachkräften des Spitals Zollikerberg, darunter die Stationsleiterin Chirurgie Julia Khatri, ins Kino «Le Paris» am Bahnhof Stadelhofen. Auf dem Programm steht die «Heldin» der Schweizer Regisseurin Petra Volpe, deren Film «Die göttliche Ordnung» 2017 zum Grosserfolg wurde. Ging es damals um das Erkämpfen des Frauenstimmrechts, dreht sich «Heldin» um ein hochaktuelles Thema: die prekäre Situation von Pflegefachleuten in hiesigen Spitälern.

Die Kamera begleitet Floria Lind auf einer chirurgischen Abteilung vom Beginn bis zum Schluss ihrer Spätschicht. Eine Kollegin fällt aus, Stress und Chaos sind programmiert. Dessen ungeachtet versucht Floria allen PatientInnen gerecht zu werden, den Schwerkranken mit einer Krebsdiagnose genauso wie der dementen alten Frau, die ins Spital kommt, weil sie unter Verstopfung leidet; dem charmanten jungen Mann aus Burkina Faso, der die Magensonde verweigert, ebenso wie dem fordernden, ja, arroganten Privatpatienten mit ausgeprägten Chefallüren. Sogar das Telefonat mit einer Angehörigen, die darum bittet, die zurückgelassene Brille ihrer Mutter auf die Seite zu legen, beantwortet Lind mit Engelsgeduld.

Doch die Hektik und der Druck haben ihren Preis: Floria Lind gerät an ihre Grenzen und manchmal auch darüber hinaus. Einmal verwechselt sie Medikamente, was dazu führt, dass ein Patient eine allergische Reaktion zeigt. Ein anderes Mal realisiert sie nicht, wie stark eine todkranke Frau leidet, und schafft es nicht, die Betroffene auch nur einmal während ihrer Schicht aufzusuchen. Am Ende stirbt sie, was nicht Linds Schuld ist, aber dennoch starke Gewissensbisse in ihr auslöst.

Der Film, dessen Hauptdarstellerin Leonie Benesch eine der aktuell gefragtesten Schauspielerinnen ist, wird mit Lob überschüttet. «Heldin» sei «ein bewegender und tiefgründiger Film, der das Publikum mit seiner authentischen Erzählweise und emotionalen Kraft fesselt».

Leonie Benesch in einer überzeugenden Rolle (Foto: zVg.)

Wie realistisch ist der Film?

Wir haben im Spital Zollikerberg angefragt, ob einige Mitarbeitende, am liebsten von der Abteilung Chirurgie, «Heldin» mit uns anschauen und anschliessend ihre Einschätzung abgeben würden: Wie realistisch ist der Film? Wo deckt er sich nicht mit ihren Erfahrungen? Wie hat er ihnen gefallen?

Am letzten Freitag treffen wir um 19 Uhr vor dem Kino «Le Paris» auf eine vergnügte Gruppe, die den gemeinsamen Ausgang geniesst. Einige Tage später setzen wir uns mit der Stationsleiterin Julia Khatri und der Pflegefachfrau Khojsta Bender im Spital an einen Tisch, um uns ihre Eindrücke anzuhören.

Die beiden sind sich einig, dass so extreme Tage, wie sie der Film zeigt, tatsächlich vorkommen. Dann sei der Stresslevel durchgehend hoch, das Telefon klingle häufiger als sonst – genau wie im Film. Vor allem während der Spätschichten müsse man mit diesem Störfaktor rechnen; tagsüber sei es besser, da fange eine Spitalkoordinatorin viele eingehende Telefonanrufe ab, um die Pflegenden zu entlasten.

Stoische Ruhe und viel Empathie

Richtig begeistert ist Julia Khatri von der Einstiegsszene: «Kompliment an die Regisseurin, die mit einer realistischen Sequenz startet, die auf Aussenstehende vielleicht irritierend wirkt.»

Floria Lind hat gerade ihren Dienst angetreten und trifft als Erstes auf eine alte Patientin mit Demenzerkrankung, die nach der Einnahme von Abführmitteln die Kontrolle über ihren Stuhlgang verliert und den ganzen Zimmerboden verunreinigt. Mit stoischer Ruhe und viel Empathie begegnet sie der Patientin und beseitigt das Malheur – unterstützt von einem Kollegen: «Das ist eine hochprofessionelle Reaktion, die da gezeigt wird», sagt Khatri. «Richtig gut!»

Gefallen habe ihnen auch, dass das Drehbuch der Zusammenarbeit im Team, der Solidarität und der Hilfe in schwierigen Situationen so grosse Bedeutung zumisst. Ein eindrückliches Beispiel dafür: Als Lind nach dem Tod einer Patientin fast am Ende ihrer Kräfte ist, springt ihre Kollegin für sie ein und rät ihr, eine Pause zu machen.

Die Szene mit der teuren Uhr

Kurz zuvor haben die beiden noch Tränen gelacht. Da hat die geduldige Floria Lind, die sich sonst unentwegt für alles Mögliche entschuldigt, wutentbrannt die offenbar 40’000 Franken teure Uhr des Privatpatienten mit den Chefallüren aus dem Fenster geschmissen, nachdem dieser zum wiederholten Mal ultimativ einen Tee verlangt hatte.

Khojsta Bender lacht nun auch, als wir über diese Szene sprechen: «Das geht natürlich nicht», sagt sie, «und so würde auch keine Pflegefachfrau in der Realität reagieren.» Aber im Kopf habe wohl schon jede von ihnen einmal solche Wünsche verspürt: «Es gibt einfach Momente, da ist der Stress so gross, dass man sich extrem zusammenreissen und sich gut überlegen muss, wie man reagiert.»

Julia Khatri betont, dass dieser Mann im Film ja im Grunde eine hochtragische Figur sei: ein Krebspatient, der seine Ängste mit Arroganz überspiele: «Da würde ich mir wünschen, dass eine Pflegefachkraft ihm mit mehr kommunikativer Kompetenz begegnet.» Sie müsse ihm behutsam und ruhig klarmachen, dass er leider noch etwas auf seinen Tee warten müsse, weil ein Notfall sie aktuell fordere.

«Schon fast eine Berufskrankheit»

Unnötig seien auch die permanenten Entschuldigungen, wobei – und jetzt seufzt Julia Khatri hörbar – die Darstellung im Film absolut realistisch sei: «Es ist leider so, dass sich Pflegefachfrauen für vieles entschuldigen, darunter auch für Dinge, für die sie nichts können.» Das sei schon fast eine Berufskrankheit, die sie sich damit erkläre, dass sie als Pflegende stets als Erste mit dem Missmut von Patienten und ihren Angehörigen konfrontiert seien: Missmut über das Zimmer, das Bett, das Essen, die Zimmernachbarin, die Wartezeiten, und und und. Die Folge? «Wir entschuldigen uns.»

Für weniger glaubwürdig hält die Stationsleiterin Linds Reaktion auf eine sterbenskranke Patientin und deren drei erwachsene Söhne. Die drei sichtlich verzweifelten Männer bitten die durch die Gänge hetzende Pflegefachfrau mehrfach, doch endlich einmal bei ihrer Mutter vorbeizuschauen. Sie vertröstet sie und hetzt weiter. Letztlich stirbt die Frau unter den Händen des Reanimationsteams und einer Ärztin.

Khatri konstatiert: «Hier wurden meiner Meinung nach falsche Prioritäten gesetzt – wenn ich eine so kranke Patientin in der Schicht habe, gehe ich zuallererst bei ihr vorbei.» Das Verhalten von Floria Lind in dieser Situation sei unprofessionell.

Szenen voller Charme und Witz

Auf mehr Gegenliebe bei den Fachfrauen stossen zwei, drei Szenen voller Charme, Witz und grosser Menschlichkeit. Da lässt sich die Patientin mit Demenzerkrankung fast nicht beruhigen, worauf Floria Lind das Kinderlied «Der Mond ist aufgegangen» anstimmt, das die alte Frau hingerissen mitsingt. «Wir alle haben schon mal am Krankenbett gesessen und ein Lied gesungen», erzählt Bender. Mitunter bete man auch mit einem Kranken, wenn man spüre, dass dies seinem Bedürfnis entspreche und ihm guttue.

In einer anderen Szene fragt der junge Mann aus Burkina Faso, ob die Infusion, die Lind ihm anhängt, Bier enthalte, worauf sie lachend erwidert: «Champagner». Das seien Scherze, die zu ihrem Alltag gehörten und die oft spürbare Bedrückung in Spitalzimmern etwas aufzulösen vermögen.

Skeptischer sind sie, als Lind diesem Patienten, der seine Einsamkeit beklagt, antwortet, er habe ja sie.  Das sei in ihren Augen eine Gratwanderung, so Khatri, weil die Pflegefachfrau mit dieser persönlichen Bemerkung ihre Professionalität unterlaufe.

Realistisch, aber ein wenig einseitig

Welches Fazit ziehen denn nun die Expertinnen vom Spital Zollikerberg? Khojsta Bender findet es schade, dass der Film einen extremen Tag so sehr ins Zentrum rücke: «Die Darstellung ist durchaus realistisch, aber ich hätte es noch glaubwürdiger gefunden, wenn auch die erfreulichen Seiten unseres Berufs noch besser sichtbar geworden wären.»

Auch Stationsleiterin Julia Khatri bedauert, dass ihr Beruf etwas einseitig dargestellt werde: «Ich befürchte, dass er dadurch potenzielle Interessentinnen eher abschrecken wird.» Das sei doch schade. 

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