«Ich begrüsse die Rückkehr des Wolfes»

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19. Januar 2024 – Obwohl der Kanton Zürich das Amt des Tieranwalts abgeschafft hat, kämpft der gebürtige Zolliker Antoine F. Goetschel weiterhin für die Rechte der Tiere. Im Gespräch mit Barbara Lukesch nahm er unter anderem Stellung zum Wolf, zu Schosstieren und enthornten Kühen.

Der Abschuss ganzer Wolfsrudel ist auch für Antoine F. Goetschel eine heikle Sache. Er begrüsse es, dass der Wolf in den Alpenraum zurückkomme, sagte der Tieranwalt, aber es sei natürlich bedauernswert, dass andere Tiere wegen ihm leiden müssten. An der erbitterten Diskussion störe ihn vor allem, dass die Bauern die armen Schafe in den Vordergrund stellten, obwohl es eher um ihre wirtschaftlichen Interessen gehe als um die Liebe zu ihren Tieren. Der Wolf störe das Geschäftsmodell, die weit verbreitete Panik halte er für übertrieben und begrüsse grundsätzlich die Rückkehr dieser Spezies in ihren alten Lebensraum.

Mit seinen Interventionen ecke er ja da und dort an, sagte Barbara Lukesch. Mal kritisiere er den Zoo für einen Teil der Tierhaltung, mal den Zirkus für den Umgang mit den Vierbeinern und die Pharmaindustrie für quälerische Tierversuche. Wie er denn mit diesem Mehrfrontenkampf zurecht komme.

Goetschel holte aus und erzählte, wie er einst am Weltkongress der Jäger in Montreux teilgenommen habe. Die Jäger hätten die Hege und Pflege des Wildbestands ins Zentrum gerückt und beklagt, dass ihnen militante Tierschützer die Hochsitze absägten. Er habe den Jägern dargelegt, dass er ihre hegende und pflegende Arbeit durchaus schätze, er habe ihnen aber auch klargemacht, dass es schreckliche Bilder gebe, wie gewisse Jäger mit dem erlegten Wild umgehen und neben den Kadavern posierten. «Eliminiert die schwarzen Schafe, die euch mit diesem Verhalten Schaden zufügen», habe er den Jägern gesagt. In einer angeregten Diskussion habe er schon bald Unterstützung für seine Bemühungen bekommen, die Themen Tierschutz und Tiergesundheit in die Uno hineinzutragen. 

Die Interessen des Tiers berücksichtigen

«Finden Sie es gut, wenn Kühe enthornt werden?», fragte Barbara Lukesch.

Bei der Kuh gehe es wie bei allen Tieren darum, die Würde zu schützen, erwiderte Goetschel. Dazu gehöre, das Erscheinungsbild nicht unnötig anzugreifen: «Kühe ohne Hörner sehen meiner Meinung nach etwas dümmlich aus, nur schon deshalb finde ich die Enthornung fragwürdig.» Allerdings habe er mit einer Bäuerin zu tun gehabt, die von einer Kuh angegriffen worden sei und beinahe ein Auge verloren hätte. Diese Angst gelte es zu respektieren. Er habe ihr gesagt, sie könne die Interessen des Menschen und des Tiers austarieren, indem sie ihren Kühen mehr Platz lasse. Das vermindere die Gefahr eines Unfalls und mache die Enthornung unnötig.

Ein weiteres Thema des Abends war das Schosstier. Wo endet die Tierliebe, wo beginnt der Missbrauch? Auch dazu hatte Gotschel eine umfassende Antwort, die hier verkürzt wiedergegeben sei: «Der Missbrauch beginnt dort, wo der Halter das Tier vermenschlicht, wo er seine Interessen jenen des Tieres überstülpt.» Ein Louis Vuitton-Anzügelchen für ein Hündchen sei definitiv keine gute Idee.

Abschreckung mit Bildern?

Natürlich kam auch das Thema Schlachthaus auf den Tisch. Barbara Lukesch verwies auf das merkwürdige Verhalten des Menschen, der das Kälbchen und das Lämmchen auf der Weide süss findet, aber abends nichts gegen ein feines Kalbsplätzchen oder ein Lammfilet auf dem Teller einzuwenden hat.

«Der Mensch sagt Nein zur Produktion und Ja zum Produkt», das sei ein unauflösbares, aber zutiefst menschliches Dilemma, konstatierte Goetschel. Wir hätten eben eine grosse Gabe, unschöne Dinge zu verdrängen. Von Seiten der Tierschützer höre er immer wieder, man müsse die schrecklichen Bilder aus den Schlachthöfen zeigen, um den Fleischkonsum einzudämmen. An dieser Taktik zweifle er nur schon deshalb, weil dort, wo die Todesstrafe öffentlich vollstreckt werde, die Kriminalität in aller Regel zunehme. Er setze mehr Hoffnung in die Überzeugungsarbeit. Wenn jeder Mensch seinen Fleischkonsum freiwillig um 10% einschränke, sei viel für das Wohl der Tiere getan.

Wenn Kinder Tiere quälen

Es sei auffällig, dass viele Sexualstraftäter zu Beginn ihrer kriminellen Karriere Tiere gequält hatten, sagte Barbara Lukesch. Ob er dafür eine Erklärung habe? Wie bei fast jeder Frage machte Goetschel auch hier eine Auslegeordnung der Argumente und kam zum Schluss, dass diese These nicht bewiesen sei. Was die Tierquälerei bei Kindern angehe, so müsse man unterscheiden: «Es gibt Kinder, die einfach nur neugierig sind, was passiert, wenn sie einem Käfer ein Bein ausreissen. Es gibt aber auch solche, die eine kaltherzige Lust am Quälen entwickeln. Man muss in jedem Fall genau hinschauen, intervenieren und aufklären.»

Ein grosses Problem beim Kampf gegen die Tierquälerei sei die Tatsache, dass meist die Tierhalter selber die Täter seien – Bauern, Tierheimleiter, die Industrie mit ihren Tierversuchen. Die betroffenen Tiere könnten sich nicht wehren, und als Anwalt sei es schwierig, ihre Interessen zu vertreten. In seiner Zeit als Tieranwalt des Kantons Zürich von 1991 bis 2010 sei er von den Behörden bei einer Anzeige sofort verständigt worden. Er habe das Beweismaterial sichern und sichten können: «Nur dann hat man eine Chance, die Täterschaft zu überführen.» Nur schon deshalb habe er wenig Verständnis dafür, dass es die Funktion der kantonalen Tieranwälte nicht mehr gebe.

Der Tierarzt und das Polopony

Barbara Lukesch bat ihn um die Schilderung eines konkreten Falles, bei dem er interveniert habe. Es sei um einen Tierarzt mit grossem Renomme gegangen, erzählte Goetschel. Der habe ein Polopony zum Hochleistungssport umerziehen wollen und ihm dabei nicht nur den Willen, sondern auch das Rückgrat gebrochen. «Vor 20 Jahren hätte man ihm das noch als Unfall durchgehen lassen, jetzt wurde der Fall nach der Strafanzeige einer Reiterkollegin untersucht und bestraft: Entzug des Tierarztpatents, eine happige Busse – der Mann hat für sein Fehlverhalten einen hohen Preis bezahlt.»

«Ist das wirklich ein hoher Preis für eine solche Tat?», wunderte sich Barbara Lukesch. Man müsse immer die Gesamtsituation berücksichtigen, holte Goetschel aus. Das Polopony habe noch sechs Stunden gelebt, ehe es von seinen Qualen erlöst worden sei; das sei eine verhältnismässig kurze Leidenszeit. Es gebe aber auch Tiere, oft Pferde, «die jahrelang im Dreck liegen und bei denen man das Grauen in den Augen ablesen kann, wenn man sie aus dem Stall holt». Solche Fälle seien gravierender und würden auch härter bestraft. «Der Tierarzt mit seinem Polopony hat in seinen Kreisen einen totalen Gesichtsverlust erlitten – das war für ihn wohl die härteste Konsequenz.» (rs)

Ein interessiertes Publikum in entspannter Atmosphäre (Fotos/Video: rs/Adrian Michael)
Ein interessiertes Publikum in entspannter Atmosphäre (Fotos/Video: rs/Adrian Michael)

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