Eine Regenwanderung mit Happy End

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Thomas Widmer: «Schön, hat der Kanton Zürich ein Oberland. Ein wild gebliebenes Reich aus Nagelfluh, bestückt mit Wasserfällen und Höhlen. In der einen Höhle, dem sagenhaften Hagherenloch, soll einst gar ein Raubritter gelauert haben.» (2 Kommentare)

Als wir in Bauma aus der S-Bahn steigen, regnet es. Ist das schlimm? Im Gegenteil! Erstens regnet es nur fein. Und zweitens lieben mein Grüppli und ich nasses Wetter. Es ist dann nicht so viel Volk unterwegs.

Bauma, für Geografieunkundige, ist ein grosser Ort im Tösstal. Dort am Bahnhof einfach loszotteln geht gar nicht. Altes Rollmaterial will bewundert werden, die historischen Fahrzeuge des «Dampfbahn-Vereins Zürcher Oberland». Vor der Nässe schützt sie eine ebenso altehrwürdige Halle. Sie datiert von 1860 und war damals das Gebäude des Basler Centralbahnhofs.

Nostalgische Dampfbahn in Bauma
Dampflokomotiven in Bauma (Fotos: Thomas Widmer)

Am Holzdach mit den gelaubsägelt wirkenden Giebelverzierungen können wir uns kaum sattsehen. Schliesslich starten wir doch. Folgen der Töss flussaufwärts über flaches Gelände, um sie bei Seewadel auf einer Brücke zu überqueren. Adieu, Töss, es war schön mit dir. Aber jetzt wollen wir ins Hochland.

Wir passieren die Häuser von Hinter Tüfenbach und erreichen den Hof Akau. Ein Hund kommt von hinten, saust im gestreckten Galopp an uns vorbei, schnappt sich weiter vorn am Wegrand etwas. Den zernagten Plastikdeckel einer Futtertonne, den er nun heranträgt. Aha, der Hund will Frisbee spielen. Wir lassen die Scheibe fliegen, er apportiert sie unter vollem Einsatz und mit Riesenspass, so könnte das den ganzen Tag weitergehen.

Hund mit Frisbee
Der frisbeespielende Hund beim Hof Akau

Wir haben aber anderes vor. Sagen mit Bedauern schon wieder Adieu und biegen links in den Waldhang Richtung Äbenegg ein. Nun sind wir vollends in jenem Gelände, das das Zürcher Oberland ausmacht, steile Hänge, Farne und Kraut, Nagelfluh, kleine und grosse Rinnsale.

Als der Wanderweg eine Spitzkehre vollzieht, sehen wir etwas abseits aus den Augenwinkeln etwas, mit dem wir nicht gerechnet haben. Ein Trampelpfad führt zu zwei kleinen Wasserfällen, die man in der Region «Giessen» nennt. Die Nagelfluhwand, über deren Kante sie stürzen, ist überhängend, die trockene Einbuchtung darunter, eine Art Halbhöhle, ist ein «Gubel».

Wasserfall über Nagelfluhwand
«Giessen» und «Gubel»

Hier im Spätestherbst bräteln, das wäre wunderbar. Doch wir haben nichts Essbares, das wir über das Feuer halten könnten. Wir gehen also weiter und kommen bald zu einer richtigen Höhle, die auch auf der Karte eingezeichnet ist und laut einer Tafel 30 Meter tief ist. Das Hagherenloch, wie sie heisst, ist genau dies: ein Loch. Wir treten ins Dunkle und müssen gleich stoppen, ein Tümpel versperrt den Weg ins Berginnere. Schade. Aus einer Sage weiss ich, dass es ganz hinten eine Tür gibt. Dahinter verbirgt sich ein Schatz, der freilich von einer Schlange und einem Drachen bewacht wird.

Eingang zum Hagenheerloch
Eingang zum Hagherenloch

Hagherenloch oder Hagheerenloch, was ist das überhaupt für ein Name? «Hag» gleich Hag wie Zaun, Her gleich «Herr». Ein Hagher war ein Raubritter. Hauste hier ein solcher? Oder lauerte er hier auf Leute, die vorbeizogen? Weiss man nicht. Was hingegen belegt ist: Dass sich im Loch die Täufer und Täuferinnen der Gegend versteckten, wenn sie wieder einmal von der Obrigkeit gejagt wurden, weil sie keinen Militärdienst leisten wollten und überhaupt der reformierten Staatskirche durch ihre abweichenden Glaubensideen missfielen.

Als wir aus dem Wald treten, haben wir die gröbste Steigung hinter uns. Wir sind nun in einem Land, das bloss aus Högern zu bestehen scheint, grünen Kuppen und Spitzen mit abgründig tiefen Gräben dazwischen, das Ganze ist ausbalanciert zwischen wildromantisch und unheimlich.  Immer wieder mal wähne ich, wir seien im Emmental. Bloss die wuchtigen Berner Bauernhäuser mit den Dächern bis fast zum Boden fehlen.

Landschaftsbild
Höger, Kuppen, Spitzen, tiefe Gräben

Das Dorf Sternenberg zeigt sich vor uns, hübsch surreal auf einer Krete platziert.

Das Dorf Sternenberg
Sternenberg

Umso mehr freuen wir uns über den Anblick, als dort ein warmes Essen auf uns wartet, ich habe nämlich am Morgen angerufen und für uns fünf reserviert. Gut, habe ich das getan, die «Sternen»-Wirtin sagte mir, wir hätten grad noch den letzten Tisch erwischt.

Sternenberg ist der Ort, wo die gleichnamige Filmkomödie entstand (Videoausschnitt). Das Bild von Volksschauspieler Mathias Gnädinger, der seinen Charakterbauch in die Schulbank zwängt und so im fortgeschrittenen Alter hilft, die unter Schülermangel leidende Schule zu retten, dieses Bild hat sich uns eingebrannt. Viele Szenen des Films von 2004 wurden im «Sternen» gedreht. Doch dann brannte das gute alte Haus 2016 ab.

Was wir bei unserer Einkehr vorfinden, ist der Nachfolgebau, schön hell und luftig. Und wie wir feststellen, wird im «Sternen», wo ich nicht zum ersten Mal esse, nach wie vor mit Liebe gewirtet. Und gut gekocht. Ob Saltimbocca mit Polenta, Rahmschnitzel mit Nüdeli oder Gemüsegratin, alles fein. Es ist das Happy End zu einer Regenwanderung, die doch auch schon happy war.

Feines Essen auf dem Teller
Saltimboca mit Polenta und Gemüse

Und nun ein Nachtrag: Ein Freund, der unsere Unternehmung mitbekommen hat und daraufhin die Route nachwanderte, mailt mir Tage später ein Foto. Es zeigt den Hund vom Hof Akau. Natürlich mit dem Frisbee im Mund. Der will wirklich nur spielen. Und das jeden Tag.

Anforderung: 5,8 km, 295 m aufwärts, 69 m abwärts, 1 ¾ Stunden. Mit dem Postauto retour nach Bauma.

Route: PDF von SchweizMobil

Thomas Widmer wohnt im Zollikerberg, ist Reporter bei der «Schweizer Familie» und hat mehrere Wanderbücher verfasst. Er wandert zwei Mal pro Woche und sagt: «Man wandert nicht nur durch eine Landschaft. Sondern auch durch die Kultur, die Geschichte, die Politik. Wenns dazu etwas Gutes zu essen gibt: grossartig!»

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Danke Thomas für die Reklame für das wunderschöne Züri Oberland. Wenn ich hier wandere, wähne ich mich nicht im Berner Oberland, sondern im Paradies.

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