Wie der Begriff «Seeuferweg» beseitigt wurde

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8. Februar 2024 – Über viele Jahre war von einem «Seeuferweg» die Rede, einem – wie der Name sagt – Weg entlang des Seeufers. Dann begann das bürgerliche Pressing, und der «Seeuferweg» verwandelte sich in den «Zürichseeweg» – mit konkreten Folgen auch für Zollikon. (2 Kommentare)

8. Februar 2024 – Über viele Jahre war von einem «Seeuferweg» die Rede, einem – wie der Name sagt – Weg entlang des Seeufers. Dann begann das bürgerliche Pressing, und der «Seeuferweg» verwandelte sich in den «Zürichseeweg» – mit konkreten Folgen auch für Zollikon.

Seeuferweg gemäss Richtplan
Grün gestrichelt: «Vorzusehender Seeuferweg» im kantonalen Richtplan 2023

Am Anfang stand ein klarer Begriff: Seeuferweg. Und dieser Begriff war breit verankert:

Am 28. September 1983 hielt der Zürcher Regierungsrat in einem Beschluss fest: «Die Anlage eines durchgehenden Seeuferwegs drängt sich zwingend auf. In den regionalen Verkehrsplänen Pfannenstil und Zimmerberg ist der Bedeutung entsprechend ein solcher Weg bereits enthalten.»

Im Strassengesetz des Kantons Zürich hält Paragraf 28 fest, dass für den Bau der Uferwege entlang der Zürcher Seen und Flüsse jährlich 6 Millionen Franken zurückzustellen seien, von denen «mindestens zwei Drittel für den Bau des Uferweges am Zürichsee einzusetzen sind».

Im kantonalen Richtplan 2023 findet sich unter 4.4.2. eine ganzseitige Karte, auf der mit grüner Farbe der «bestehende Seeuferweg» und grün gestrichelt der «vorzusehende Seeuferweg» eingezeichnet sind.

Im «Kantonalen Leitbild Zürichsee 2050» ist nachzulesen, dass der Seeuferweg grundsätzlich entlang dem Ufer gebaut werden solle.

Doch allmählich wuchs der Widerstand gegen dieses Projekt. Bürgerliche Politiker warnten vor der «Enteignung» der Besitzer von Liegenschaften am See. Dies obwohl sich der Kanton um 1850 das Recht auf die Anlage eines Seeuferwegs mittels Einträgen in den Grundbüchen vieler Parzellen gesichert hatte. Dort ist nachzulesen: «Sollte früher oder später diese Landanlage oder ein Teil derselben für eine Quaianlage, d.h. für die Quaistrasse, öffentliche Anlagen, Verbindungsstrassen mit der Seestrasse etc. beansprucht werden, so ist das betreffende Gebiet gegen Ersatz der Erstellungskosten abzutreten.»

Widerstand an der Goldküste

Unter Baudirektor Eric Honegger (FDP, 1987-1991) legte die Zürcher Regierung die Pläne für einen Seeuferweg auf Eis. Honegger gab den regionalen Verkehrsplanern damit einen Steilpass. Die Delegierten der Zürcher Planungsgruppe Pfannenstiel (ZPP), dem Zusammenschluss von 12 Gemeinden am rechten Seeufer, verpassten dem Seeuferweg im regionalen Richtplan kurzerhand einen neuen Namen: Zürichseeweg. Aus regionaler Sicht, so die Begründung, sei eine durchgehende Führung des Weges direkt am rechten Seeufer «weder zweckmässig noch erwünscht». Die privaten Liegenschaften am See sollten umgangen werden.

Auf der anderen Seeseite spielt mit einigen Jahren Verspätung dieselbe Dynamik. Auch dort soll der Seeuferweg in Zürichseeweg umbenannt werden. Allerdings scheiterte die Zürcher Planungsgruppe Zimmerberg (ZPZ) mit diesem Vorhaben im Mai 2022 an der Urne; die Bevölkerung wollte am alten Begriff und damit am Projekt gemäss kantonalem Richtplan festhalten.

Derzeit nimmt der Vorstand der ZPZ einen zweiten Anlauf. Ihr Präsident Martin Arnold (SVP) liess sich in der «Zürichseee-Zeitung» kürzlich wie folgt zitieren: «Wir sind weiterhin der Meinung, dass der Begriff Zürichseeweg die regionale Strategie am besten widerspiegelt und das tatsächliche Bedürfnis der Bevölkerung am besten abbildet.»

Denkwürdige Kantonsratsdebatte

Unter dem Druck der bürgerlichen Parteien erklärte sich der Regierungsrat bereit, den Begriff Seeuferweg zu opfern und stattdessen einen «durchgängigen Uferweg möglichst nahe am See» in den kantonalen Richtplan zu schreiben. Mit dieser Formulierung hätten sogar die Linken leben können.

Doch dann versenkten die FDP und die SVP den Kompromiss völlig überraschend in der denkwürdigen Kantonsrats-Debatte vom 23. November 2009, bei der sie den Naturschutz vorschoben, aber zugleich klar machten, dass es ihnen vor allem um den Schutz des Eigentums und der Privilegien der Liegenschaftenbesitzer am See ging:

Carmen Walker Späh (FDP):  «Es geht um den Naturschutz, es geht um die Erholungsfunktion für die Bevölkerung und es geht um privates Eigentum. Diese verschiedenen Interessen können naturgemäss nicht überall am Zürichsee gleich berücksichtigt werden (…) Nun will man ausgerechnet fördern, dass die Menschen entlang des ganzen Seeufers so nah wie möglich entlang des Sees laufen und sich vergnügen können. Ich frage Sie: Was hat dies eigentlich noch mit Naturschutz zu tun? (…) Wege möglichst nahe am Zürichsee, das ist in Tat und Wahrheit ein erster Schritt hin zu einer schrittweisen Enteignung des privaten Eigentums entlang der Zürichseeufer.»

Adrian Bergmann (SVP): «Ein durchgehender Seeuferweg direkt am See ist wohl wünschbar, steht aber dem hohen Stellenwert des Schutzes des Privateigentums entgegen (…) Auch Planwirtschaft hat ihre Grenzen, und diese Grenze ist der Schutz des Privateigentums, welches einem durchgehenden Seeuferweg direkt am See entgegensteht.»

Die linke Seite erinnerte an das geltende Recht:

Peter Schulthess (SP): «Man übergeht wissentlich, dass die meisten Parzellen, die hier als Privateigentum genannt werden, auf sogenanntem Konzessionsland stehen (…) Konzessionsland mit Servituten ist nicht gleich Privatbesitz, das möchte ich Ihnen sagen.»

Maria Rohweder (Grüne): «Der Richtplan soll also dazu benutzt werden, die privilegierte Wohnlage der privaten Seeanstösser vor öffentlichen Interessen zu schützen. Dies steht im Widerspruch zum Bundesrecht, wonach See- und Flussufer freigehalten und öffentlicher Zugang und Begehung erleichtert werden sollen (…) Auch wenn die privaten Seeanstösser in den Konzessionsverträgen dazu verpflichtet wurden, die Uferpflege zu übernehmen, so erhielten sie die Ufer nicht ausschliesslich zur privaten Nutzung zugesprochen.»

Die Interventionen von links blieben erfolglos. Der Kantonsrat schrieb mit 89:88 Stimmen bei 0 Enthaltungen folgende Formulierung in den kantonalen Richtplan: «Am Ufer des Zürichsees sind die öffentlich zugänglichen Flächen auszudehnen, sofern die Eigentumsgarantie nicht tangiert wird.»

Die Intervention des Bundesgerichts

Vier Jahre später folgte der nächste Vorstoss. Der Kantonsrat setzte einen neuen Artikel 28 c ins Strassengesetz, mit dem der Seeuferweg ein- für allemal begraben werden sollte: «Für die Erstellung von Uferwegen dürfen Eigentümerinnen und Eigentümer privater Grundstücke nicht enteignet und ihre Grundstücke nicht anderweitig beansprucht werden.»

Diesmal pfiff das Bundesgericht den Kantonsrat zurück. Der Artikel verstosse in dieser Absolutheit gegen die Verfassung, denn Liegenschaftenbesitzer am See würden damit gegenüber «normalen» Liegenschaftenbesitzern bevorzugt. Die müssten bei kantonalen Bauvorhaben, etwa beim Strassenbau, sehr wohl Land abgeben und könnten auch enteignet werden.

Die bürgerliche Mehrheit liess sich darob nicht verdriessen und brachte schliesslich folgende Formulierung durch: «Gegen den Willen der Eigentümerinnen und Eigentümer dürfen private Grundstücke für die Erstellung von Uferwegen grundsätzlich nicht beansprucht werden. Die Beanspruchung ist ausnahmsweise zulässig, wenn eine andere Führung des Uferweges nicht oder nur mit unverhältnismässigem Aufwand möglich ist.»

Seither steht das in den Grundbüchern verbriefte Recht des Kantons auf den Bau eines Seeuferwegs dem faktischen Verbot auf Gesetzesebene gegenüber. Das ist der Grund, warum die SP, die Grünen, die Grünliberalen und die EVP die Pflicht zum Bau eines durchgehenden Seeuferwegs in die dem Gesetz übergeordnete Kantonsverfassung schreiben wollen.

Die Zolliker Lösung des Vereins FAiR

Drei Monate nach der legendären Kantonsratsdebatte im November 2009 wurde in Männedorf der Verein FAiR gegründet – «Für eine Aufwertung des Zürichseeufers im Recht» – präsidiert vom SVP-Kantonalpräsidenten Domenik Ledergerber. Der Verein setzt sich gemäss Eigenwerbung «für einen Zürichseeweg rund um den Zürichsee ein, bekämpft aber einen direkten Seeuferweg, der zu Eingriffen in die Natur und zu Enteignungen führt». Er begrüsst «punktuelle Aufwertung dort, wo bereits heute die Öffentlichkeit Zugang zum See hat: bei bestehenden Seeuferwegen und Parkanlagen». 

Für Zollikon hat der Verein seine Vorstellung mit einem dicken schwarzen Strich in eine Karte gezeichnet und ins Netz gestellt: Der Zürichseeweg führt auf dem Trottoir der Seestrasse hinter den 15 Seevillen hindurch. (rs)

Der Zürichseeweg im Bereich der Zolliker Seevillen, wie er dem Verein FAiR vorschwebt (Grafik: FAiR)
Der Zürichseeweg im Bereich der Zolliker Seevillen, wie er dem Verein FAiR vorschwebt (Grafik: FAiR)

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Teil 1: Der erbitterte Kampf ums Seeufer
Teil 2: Wie die Zolliker zu ihren Seevillen kamen
Teil 3: Fixfertige Pläne für den Zolliker Seeuferweg

Teil 4: Wie der Begriff «Seeuferweg» beseitigt wurde
Teil 5: Kommentar: Jetzt steht der Gemeinderat in der Pflicht

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2 KOMMENTARE

Das war wirklich erstklassig recherchiert und zurückhaltend journalistisch aufbereitet und präsentiert, ich stimme Herrn Meier voll und ganz zu. Ich schwimme im Sommer fast jeden Morgen früh vor dem ehem. Altersheim, bevor die PS starken Motorboote noch keine Surf-Wellen und Krach machen, herrlich. Aber halt auch: Vom grossen Stapel Wegwerf-Alu-Grillschalen vor dem Coop im Seefeld liegt nach jedem schönen Wochenende ein Haufen davon am Montagmorgen da herum, Arbeitsbeschaffung für die tüchtigen Gemeindearbeiter… Ob Villenbesitzer mit Boots-Boliden oder Grillköch*innen mit Vegan-Burger-Verpackungen: Rücksichtsnahme wäre das Zauberwort für alle. Ich werde deshalb zum Uferweg nicht abstimmen.

Wie auch immer man zur Abstimmung steht: Ich danke dem Team für die herausragende Recherche zum Thema. Grossartig. Vielen Dank.

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