Der erbitterte Kampf ums Seeufer

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5. Febuar 2024 – Am 3. März stimmen wir darüber ab, ob der Kanton bis 2050 am Zürichsee einen durchgehenden Uferweg bauen soll. So will es die Volksinitiative «Für öffentliche Uferwege mit ökologischer Aufwertung». Die Forderung von links stösst rechts auf erbitterten Widerstand.

Ein Uferweg vor den Zolliker Seevillen? Das ist die Frage (Foto: rs)
Ein Uferweg vor den Zolliker Seevillen? Das ist die Frage (Fotos: rs)

Die InitiantInnen wollen die Kantonsverfassung mit zwei Artikeln ergänzen. Der eine verpflichtet den Kanton, bis 2050 einen durchgehenden Uferweg zu bauen und zu finanzieren. Der zweite hält fest, dass unberührte und ökologisch wertvolle Uferabschnitte umgangen und erhalten werden sollen.

Gallionsfigur der BefürworterInnen ist Julia Gerber Rüegg aus Wädenswil. Die ehemalige SP-Gemeinderätin und -Kantonsrätin präsidiert den parteiunabhängigen Verein «Ja zum Seeuferweg» und das «Komitee Uferinitiative».  

Gallionsfigur der Gegnerschaft ist Domenik Ledergerber aus Herrliberg, Präsident der SVP des Kantons Zürich. Er führt das «Komitee Nein zur schädlichen Uferinitiative» und den Verein «Für eine Aufwertung des Zürichseeufers im Recht» (FAiR) an.

Ungleiche Kräfteverteilung

Auf der befürwortenden Seite stehen als grosse Parteien die SP, die Grünen, die Grünliberalen und die EVP. Unterstützt werden sie vom Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), der Gewässerschutz-Organisation Aqua Viva, von Pro Natura Zürich, dem Verband für umweltbewusste und faire Wohneigentümer*innen (Casafair), dem Verein Pro Uetliberg sowie von Fussverkehr Schweiz und vom Fussgängerverein Zürich.

Auf der gegnerischen Seite stehen als grosse Parteien die SVP, die FDP und die Mitte. Unterstützung bekommen sie von der Vereinigung Zürcher Immobilienunternehmen (VZI), der Vereinigung Zürcherischer Arbeitgeberorganisationen (VZA), den Automobilverbänden TCS und ACS, dem Hauseigentümerverband des Kantons Zürich (HEV), von Hotellerie Suisse, dem Gewerbeverband der Stadt Zürich, der Zürcher Handelskammer sowie dem KMU- und Gewerbeverband des Kantons Zürich (KGV).

Die Grünliberalen haben an der Mitgliederversammlung vom letzten Dienstag mit 50 zu 34 Stimmen bei 10 Enthaltungen die Ja-Parole beschlossen. Als der Kantonsrat die Uferinitiative Anfang Oktober mit 94 zu 74 Stimmen zur Ablehnung empfahl, gab es GLP-VertreterInnen in beiden Lagern.

Das zentrale Argument der Enteignung

Die Gegner des Seeuferwegs sprechen von einem «Frontalangriff auf das Privateigentum». Bei einem durchgehenden Seeuferweg seien Enteignungen unumgänglich und mit langwierigen Gerichtsverfahren verbunden. Es liege nicht im öffentlichen Interesse, «dieses extreme Mittel zwangsweise durchzusetzen». Die Uferinitiative würde «einen gefährlichen Präzendenzfall schaffen.»

Die Befürworter sagen, dass solche Zwangsmassnahmen nur ausnahmsweise nötig seien, denn der Kanton habe sich Mitte des 19. Jahrhunderts in weiser Voraussicht mit Einträgen in vielen Grundbüchern der Seeliegenschaften bestimmte Vorrechte gesichert. Wenn er einen Seeuferweg bauen würde, müssten die Eigentümer laut Grundbuch «das betreffende Gebiet gegen Ersatz der Erstellungskosten abtreten».

Diametral unterschiedliche Meinungen

Zwar steht der Seeuferweg im kantonalen Richtplan, doch die bürgerliche Mehrheit schaffte es, hohe Hürden aufzubauen, um ihn zu verhindern. Deshalb wollen die BefürworterInnen das Projekt mittels Initiative in die Verfassung schreiben. Dies sind die hauptsächlichen Pro- und Kontra-Argumente:

Juli Gerber Rüegg

Julia Gerber Rüegg: «Weil der See und seine Ufer allen gehören, ist es Aufgabe des Kantons, die Ufer im Sinne der öffentlichen Interessen zu gestalten. Attraktive Fuss- und Wanderwege an ökologisch aufgewerteten Ufern sind begehrt und zentral für unser Wohlbefinden. Am ganzen Zürichsee braucht es dringend mehr Raum für wilde Pflanzen und Tiere. Damit diese Interessen der Allgemeinheit gegenüber den egoistischen, mit nichts zu rechtfertigenden Ansprüchen auf Privatstrände endlich durchgesetzt werden, braucht es ein Ja zur Uferinitiative.»

Domenik Ledergerber

Domenik Ledergerber: «Die Uferinitiative ist schädlich, teuer und extrem. Sie schadet der Natur, löst hohe Kosten aus und kommt einem Frontalangriff auf die Eigentumsgarantie gleich. Ungeachtet der Eigentumsverhältnisse sowie der über Jahrzehnte gewachsenen Pflanzen- und Tierwelt wollen die Initianten einen durchgehenden Uferweg mit der Brechstange erzwingen. Das geht zu weit. Ich setzte mich für punktuelle Aufwertungen des Seezugangs ein, da, wo dies gut machbar ist. Und ich sage am 3. März Nein zur Uferinitiative.»

Die Kosten für die Umsetzung der Initiative werden vom Kanton auf 121 Millionen Franken (minimal) bis 506 Millionen (maximal) geschätzt, je nach Rechtsprechung des Bundesgerichts bei Entschädigungs-Forderungen von Grundbesitzern. Das Nein-Komitee rechnet mit 500 Millionen, der Verein FAiR kommt in einer «Vollkostenrechnung» auf mehr als 1 Milliarde Franken, ohne dafür Belege zu liefern. Das Pro-Lager verweist auf die Rückstellungen von jährlich 4 Millionen Franken, die der Kanton laut Gesetz seit 2014 für den Uferweg vornehmen muss. Hochgerechnet bis 2050 stünden also 144 Millionen zur Verfügung. Es sei nicht einzusehen, warum die Kosten deutlich höher sein sollten. 

Die VillenbesitzerInnen schweigen

Wir haben den BesitzerInnen der 15 Zolliker Seevillen am 4. Dezember einen kurzen Fragebogen mit frankiertem Antwortcouvert zugestellt – und lediglich eine Antwort erhalten. Der Absender bezeichnete die Argumente der Befürworter als «Augenwischerei und Schönfärberei». Probleme wie «Lärm, Littering, Sicherheit, notabene bei privaten Liegenschaften sind nicht ansatzweise gelöst bzw. lösbar». Der Mann fügte hinzu, er sei Mitglied beim Verein FAiR.

Was sagen die Zolliker Gemeinderäte?

Der Gemeinderat äussert sich als Gremium nicht zu kantonalen Abstimmungen. Wir haben jedoch die persönliche Meinung der einzelnen Mitglieder eingeholt.

André Müller (FDP) lehnt die Initiative ab, weil sie die verfassungsmässig garantierten Eigentumsrechte der Liegenschaften-Besitzer am See verletze und nur durch Enteignungen umsetzbar sei. Man könne mit den Uferliegenschaften, die sich im Besitz der Gemeinde befinden, genügend attraktive Räume für alle am Seeufer gestalten.

Dorian Selz (GLP) kann nicht nachvollziehen, dass auf der einen Seite mit dem Schutz von Eigentumsrechten argumentiert wird, die dann aber, wenn sie gemäss Grundbucheinträgen der ganzen Bevölkerung zustehen, nicht durchgesetzt werden. Zollikon könne da allerdings recht wenig machen, weil der See Kantonsgebiet sei. Er will sich deshalb für die Aufwertung der drei grossen, bereits öffentlichen Zolliker Seeanstösse einsetzen.

Patrick Dümmler (FDP) befürchtet bei einer Annahme Nachteile für die Natur und höhere Emissionen aller Art im Sommer. Die Initiative sei zu teuer und rechtsstaatlich bedenklich. In Zollikon will er die bereits vorhandenen öffentlichen Zugänge zum See attraktiver gestalten. Das bringe der Bevölkerung mehr als ein durchgehender Seeuferweg.

Sandra Fischer (F5W) findet die Idee eines öffentlich zugänglichen Seeuferwegs sehr verlockend. Die Kosten und der Enteignungsfaktor seien aber grosse Stolpersteine. Zollikon verfüge über einige Landstücke mit direktem Seeanstoss, für die seit Jahren Gestaltungsideen vorliegen. Nun gelte es, die nötigen Massnahmen zu definieren und einzuleiten.

Claudia Irniger (FDP) lehnt die Initiative ab, weil sie das Eigentum nicht respektiere.

Sascha Ullmann (GLP) befürchtet Schäden an der Natur und der Biodiversität. Ein durchgehender Uferweg würde die Siedlungsökologie grundlegend aufbrechen. Je mehr Menschen sich im Uferbereich aufhielten, desto grösser werde der Druck auf diese Lebensbereiche.

Sylvie Sieger (FDP) stellt die verfassungsrechtlich verankerte Eigentumsgarantie ins Zentrum ihrer Argumentation. Ein durchgehender Seeuferweg würde zu Enteignungen führen. Die Gemeinde könne sich glücklich schätzen, dass sie mehrere Grundstücke am See besitze und diese attraktiv für die Bevölkerung gestalten wolle.

Auf der Liste der «Allianz gegen die schädliche Uferinitiative» haben sich drei Zolliker Gemeinderäte eingetragen: Patrick Dümmler, Sylvie Sieger und Sascha Ullmann. (rs)

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Teil 1: Der erbitterte Kampf ums Seeufer
Teil 2: Wie die Zolliker zu ihren Seevillen kamen
Teil 3: Fixfertige Pläne für den Zolliker Seeuferweg
Teil 4: Wie der Begriff «Seeuferweg» beseitigt wurde
Teil 5: Kommentar: Jetzt steht der Gemeinderat in der Pflicht

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